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Die Kolumne: Unterwegs im Humboldthain

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humboldthain2Wir rennen über die große Wiese und knicken die Grashalme um. Also der kleine Weddinger rennt. Ich gehe in meinem Sonntagsspazierschritt. Grashalme knicke ich dabei trotzdem um. Der kleine Weddinger sucht den schönsten Kletterbaum. Ich suche den Mauerpark im Humboldthain. Also ich versuche zu fühlen, ob der Humboldthain noch richtig Humboldthain ist oder schon Prenzlpark im Wedding.

Jedes Jahr fühle ich in den Park hinein. Neulich war ich wieder da: Es sieht alles aus wie immer. Der Wasserlauf ist da, in den der kleine Weddinger immer fröhlich Stöcke wirft, um sie mit anderen Stöcken noch fröhlicher wieder herauszufischen. Der Rodelberg ist da, den wir uns im Sommer immer runterroooooooolllllllllllllen lassen. Das Sommerbad ist da mit seiner supertollen Superrutsche. Auch der Rosengarten ist da und der versteckte Weinberg, den nur wir, ich und das Grünflächenamt, kennen. Beim Abenteuerspielplatz wird wieder Pizza gebacken und der kleine Weddinger brettert wie von Sinnen mit seinem Mariechen-Fahrrad den Bunkerberg hinunter. Ich sause und denke und sause und denke. Er wird von der Böschung fallen. Er wird Jogger und Hunde überrollen. Er wird fallen, fallen, fallen. Peng. Da steht er ganz unten. Und lacht. Mir klopft das Herz. Wir sind unten, an der roten Brücke, die Humboldtsteg heißt. Ich hechele wie ein Hund und der kleine Weddinger guckt Züge. Guck mal, Mama, ein ICE kommt vom Bahnhof Gesundbrunnen!

humboldthain3Es ist eigentlich alles da und so wie immer. Ich sehe die Exjugoslawen, die zu ihrer beeindruckenden Boule-Demonstration angetreten sind. Türkische Großfamilien-Picknicks mit Kind und Stuhl und Wasserpfeife und Sonnenblumenkernschalen auf der Erde.

Aber irgendwie fühlt er sich verändert an, mein Humboldthain. Der Spielplatz neben der Wiese ist von sehr aufmerksamen Müttern und Kindern ohne Migrationshintergrund in Beschlag genommen. Die meisten Bäume sind mit Seilen zu Paaren verbunden und nun der Laufsteg für Freizeitartisten, die im Mauerpark keinen Baum gefunden haben. Ich sehe zwei Männer barfuss Gitarre üben. Drei Jongleure, ein asiatisch aussehender Herr mit Rollkoffer, eine Frau mit einer Eistruhe auf Rädern.

Ich fühle in den Park hinein und denke, dass ich vermutlich alt werde. Wenn mich Veränderungen irritieren, liegt das wahrscheinlich mehr an mir als an der Veränderungen. Ich denke schon wie meine Oma, denke ich. Und überhaupt ist der Humboldthain noch ganz schön Humboldthain.

Dann ist mein Denken zuende, denn der kleine Weddinger rennt über die Wiese zurück und ist schon wieder beim Fahrrad. Er will will will hoch. Schon wieder. Mit dem roten Sauserad unter dem flüsternden Blätterdach auf den Bunkerberg. Er rennt mit dem Rad den Schlängelweg rauf, ich schnaufe wie eine alte Dampflok hinterher. Ich werde alt. Mit dem Humboldthain hat das nichts zu tun. Der ist wie er ist: schön und grün und groß. Sollen sie doch kommen mit ihren Hochseilen und Rollkoffern! Da hinten bei den Kirschbäumen ist noch genug Platz.

humboldthain4Wedding ist nicht Wedding. So steht es auf der Seite http://www.planet-wedding.de. Blog-Betreiberin Dominique Hensel schreibt dort seit 2008 über ihre Erlebnisse im Wedding. Ab sofort lädt die Journalistin aus dem Brunnenviertel die Leser des Weddingweiser ein Mal im Monat dazu ein, einen Blick in die Welt einer Weddinger Familie zu werfen. Die private Kolumne über eine Familie auf dem Planeten Wedding – immer am ersten Mittwoch im Monat. Heute: Unterwegs im Humboldthain.

Text und Fotos: Dominique Hensel



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