In der geschichtsträchtigen Wiesenburg stehen große Veränderungen an. Die Eigentümer Senatsverwaltung für Finanzen und die DeGeWo haben weite Teile des Geländes sperren lassen. Zum 2. April dürfen weder die Ruine noch weite Teile der Freifläche des über 8.000 Quadratmeter großen Geländes betreten werden. Ein Schock für die Mieter wie Joe Dumkow und Burkhard Nolte, die im Gespräch mit dem Weddingweiser-Autor Daniel Gollasch die sehr kurzfristige Verfügung beklagen. Sie empfangen uns im Wohngebäude des Komplexes und weihen uns in die Geschichte des ehemaligen Obdachlosenasyls ein.
1897 entstand hier der erste Berliner Obdachlosenasyl. 1907 folgte der erste Obdachlosenunterkunft für Frauen. Das Besondere war, dass man anonym bleiben konnte und nicht – wie damals in derlei Einrichtungen üblich – christlich missioniert wurde. In den Hochzeiten des Betriebes nach dem Ersten Weltkrieg zählte man in der Wiesenburg eine Viertelmillion Übernachtungen pro Jahr. In manchen Nächten fanden hier über 1.000 Menschen eine Unterkunft.
Nachdem zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein Großteil der Gebäude zerstört wurden und nur noch – heute idyllische – Ruinen übrig blieben, wurde das Areal in der Folgezeit unterschiedlich genutzt. In den 1950er Jahren siedelte sich Industrie und kleines Gewerbe an. Heute wohnt hier Familie Dumkow, die dem Gelände seit Generationen verbunden ist und die Flächen Künstlern zur Verfügung stellt.
Nun haben Senatsverwaltung für Finanzen und DeGeWo dieses Paradies inmitten des Weddings schließen lassen. Kein Kulturbetrieb ist mehr möglich, keine Gartenfeste und auch mit der legendären „unbezahlBAR“ ist nun Schluss. Sogar die ersten Bäume wurden schon gefällt. Strittig ist noch die Sperrung eines Ateliers auf dem Gelände.
Die Hausgemeinschaft ist zutiefst betroffen von der spontanistischen Reaktion des neuen Verwalters und wird nur bedingt über die zunehmenden Veränderungen in Kenntnis gesetzt, was zunehmend die Verunsicherung unter den Mietern schürt. Wie es weitergeht, weiß momentan niemand. Konkrete Pläne, das Gelände zu bebauen gibt es wohl noch keine, aber die Flächen wurden vom neuen Eigentümer schon vermessen und kartografiert.
Es wäre ein Jammer, wenn die Wiesenburg als eine der letzten Bastionen altruistischer Lebenskunst, die sich dem, kapitalistischen Verwertungsdruck entzieht, endgültig schließen müsste. Sie bietet Künstlern aus aller Welt Raum zur Selbstverwirklichung – ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung. Das Kleinod mitten in Berlin muss erhalten bleiben!
